Erklärung zu Massenfestnahmen und Polizeigewalt 07.10.2025 anlässlich der Demonstration „Until Total Liberation“/ Statement on Mass Arrests and Police Violence at the protest “Until Total Liberation”
English version below:
Um die Dokumentation von der Staatsrepression und Polizeigewalt bei Demonstrationen an einem Ort einfach zugängig zu machen, wird das folgende Statement von PA-Allies, der Arrest Press Unit und Alliance of Internationalist Feminists hier auch auf der PS Webseite mit Erlaubnis von PA-Allies, Alliance of Internationalist Feminists und der Arrest Press Unit aufgelistet:
Erklärung zu Massenfestnahmen und Polizeigewalt — 07.10.2025 anlässlich der Demonstration „Until Total Liberation“ in Berlin
von Alliance of Internationalist Feminists, Palestinians and Allies and the Arrest Press Unit
Berlin, 8 Oktober 2025
Am 7. Oktober rief die Demonstration „Until Total Liberation“ zur vollständigen Befreiung Palästinas sowie zum Recht auf Leben des palästinensischen Volkes auf. Der Aufruf bekundete Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand gegen Besatzung und Apartheid.
Die Kundgebung war für 18:00 Uhr am Alexanderplatz angemeldet, wurde jedoch gegen 16:00 Uhr von der Berliner Polizei mit der Begründung verboten, es müsse “von einem unfriedlichen Verlauf ausgegangen werden”. Nach zwei Jahren einer klaren Strategie von Polizei, Justiz und dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, palästinensisch geführten Protest zu kriminalisieren, ist dieses Verbot im Kontext der anhaltenden Unterstützung des deutschen Staates für den Völkermord Israels am palästinensischen Volk zu lesen. Es zeigt erneut das unablässige staatliche Bemühen, die palästinensische Befreiungsbewegung sowie ihre Proteste gegen den Genozid zu kriminalisieren.
Mehreren Aktivist:innen wurden im Vorfeld pauschale Teilnahmeverbote an sämtlichen Demonstrationen vom 7.–12. Oktober erteilt — eine Aussetzung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit, die in den vergangenen zwei Jahren wiederholt praktiziert wurde.
Trotz des Verbots versammelten sich gegen 18:00 Uhr rund 1.000 Demonstrierende am Neptunbrunnen. Die Polizei umstellte die Menge sofort und ordnete die Auflösung an; die Protestierenden blieben jedoch in ihrem Ruf nach Befreiung standhaft.
Unser Dokumentationsteam — Beobachter:innen, Sanitäter:innen und Menschenrechtsbeobachter:innen — begleitete die Demonstration und sammelte Augenzeugenberichte, Aussagen von Ingewahrsam genommenen sowie Video-, Audio- und Fotobeweise.
Gegen 19:30 Uhr kesselte die Polizei etwa 500 Menschen in der Rathausstraße ein. Es folgten Massenfestnahmen und unverhältnismäßige, rechtswidrige Gewalt.
Wir dokumentierten mindestens 120 Festnahmen, davon über 30 unter Einsatz von Schmerzgriffen.
Mindestens vier Minderjährige wurden festgenommen; angesichts der Anzahl der Festnahmen konnten nicht alle Altersangaben überprüft werden.
Die Polizei stürmte wiederholt in die eingekesselte Menge und nahm Menschen willkürlich fest; Demonstrierende im Kessel wurden ins Gesicht geschlagen, gestoßen und getreten.
Mindestens zweimal wurden Festgenommene so heftig aus dem Kessel gezerrt, dass sie das Bewusstsein verloren und medizinische Versorgung benötigten.
Medizinische Feststellungen: Sanitäter:innen verzeichneten mehrere Panikattacken mit starker Atemnot (Hyperventilation), zwei zeitweise bewusstlose Personen, geprellte Rippen und weitere Verletzungen durch Schläge sowie mehrere akute psychische Krisen. Mehrere Rettungswagen wurden alarmiert.
Zu Beginn drohte die Polizei den Sanitäter:innen, sie als Teilnehmende zu zählen und zu entfernen, wenn sich Menschen sammelten — trotz der Regelung von 2019, dass Demonsanitäter:innen nicht als Teilnehmende gelten. Ein:e Sanitäter:in sagte aus, dass Einheit 13 die Behandlung verweigerte und die Sanitäter:in körperlich von einer kritisch verletzten Person weggedrängt habe.
Eingekesselte Demonstrierende wurden grundlegender Bedürfnisse beraubt, darunter der Zugang zu Toiletten. Erst nach drei Stunden durften Minderjährige und Menschen mit medizinischem Bedarf gehen. Als Unterstützer:innen außerhalb versuchten, Wasser und Obst zu übergeben, erteilte die Polizei Platzverweise.
Persönliche Zeugenaussage:
„Seit Langem nehme ich in Berlin an Demonstrationen in Solidarität mit Palästina und gegen die Massaker teil, die durch deutsche Unterstützung ermöglicht werden. Diese Vorgeschichte machte mich — wie viele andere — zur Zielscheibe der Polizei. Ich wurde über vier Stunden auf der Straße festgehalten; gegen 23:30 Uhr sagte ein Beamter, ich würde ‚in Gewahrsam genommen, um sicherzustellen, dass ich nicht zurückkehre‘, und bis Mitternacht festgehalten — obwohl die Fahrt zur Gefangenensammelstelle (Gesa) etwa 20 Minuten dauert. Dort wurde meine Ingewahrsamnahme, wie bei anderen in derselben Lage, willkürlich bis 02:00 Uhr verlängert. Der Zweck war offenkundig Einschüchterung. Erst die Intervention meiner Anwältin machte den Plan deutlich; ohne sie wären wir womöglich nicht freigekommen. Dies ist ein weiteres Beispiel für die systematische Einschränkung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit.“
Parlamentarische Beobachter:innen der Partei DIE LINKE waren zur Dokumentation des Polizeiverhaltens vor Ort und wurden mehrfach weggedrängt. Journalist:innen, die den Protest dokumentierten, wurden ebenfalls weggedrängt — in einigen Fällen mit Pfefferspray besprüht.
Dokumentierte Formen polizeilicher Gewalt umfassten:
Schläge gegen Kopf, Brust und Bauch mit der Gefahr schwerer Verletzungen
Zu-Boden-Bringen von Demonstrierenden bei Festnahmen
Brutales Herauszerren von Demonstrierenden aus der Menge
Einsatz von Schmerz- und Würgegriffen
Schlagen fixierter Personen an Polizeifahrzeuge und fortgesetzte Schmerzgriffe
Verhinderung des Kontakts zwischen Ingewahrsam genommenen und Zeug:innen/Anwält:innen zur Übermittlung persönlicher Daten
Nach stundenlangem Ausharren und unbeirrbarem Mut der Eingekesselten sowie der solidarischen Menschen außerhalb wurde der Kessel nach mehreren Versuchen um 23:30 Uhr schließlich von den Demonstrierenden durchbrochen.
Es war eine klare, gewaltfreie Befreiung — errungen trotz polizeilicher Repression und Gewalt.
Polizeigewalt muss enden
Versammlungs- und Meinungsfreiheit sind Grundrechte, die für alle gewahrt werden müssen. Wir weisen staatliche Repression zurück, die eingesetzt wird, um Menschen, die sich gegen koloniale Unterdrückung stellen, einzuschüchtern und zu kriminalisieren. Der Kampf für Gerechtigkeit und Befreiung wird weitergehen.
Wir fordern:
Ein sofortiges Ende jeglicher Polizeigewalt.
Eine unabhängige Untersuchung der Massenkesselungen, Massenfestnahmen und Polizeigewalt bei der Demonstration.
Die Suspendierung der für übermäßige Gewalt und Misshandlungen im Gewahrsam verantwortlichen Beamt:innen.
Kinderschutzmaßnahmen bei Demonstrationen und vollständige Einhaltung der UN-Kinderrechtskonvention.
Keine Behinderung von Journalist:innen bei der Ausübung ihrer Arbeit.
Schutzmaßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit vulnerabler Gruppen bei Protesten, darunter Kinder, Jugendliche, Frauen, trans, nicht-binäre und queere Menschen sowie Geflüchtete.
Wir rufen die Zivilgesellschaft und Menschenrechtsorganisationen auf, Polizeigewalt gegen palästinensisch geführte Proteste in Deutschland zu dokumentieren und zu untersuchen.
Wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen. Der Protest für ein freies Palästina wird auf den Straßen Berlins weitergehen.
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In order to make the documentation of state repression and police violence during demonstrations easily accessible in one place, the following statement from the Arrest Press Unit, Alliance of Internationalist Feminists, and Palestinians and Allies (pallies) is also listed here on the PS website with permission from the Arrest Press Unit:
Statement on Mass Arrests and Police Violence — 07.10.2025 at the demonstration “Until Total Liberation” in Berlin
by the Alliance of Internationalist Feminists, Palestinians and Allies and the Arrest Press Unit
Berlin, 8 October 2025
On 7 October, the demonstration “Until Total Liberation” called for the total liberation of Palestine and the right of the Palestinian people to exist. The call expressed solidarity with Palestinian resistance against occupation and apartheid.
The protest was scheduled for 18:00 at Alexanderplatz, but at around 16:00 the Berlin Police banned it, claiming it “could become unpeaceful.” After two years of a clear strategy by the Berlin police, legal authorities, and the Mayor of Berlin to criminalize Palestinian-led protest, this ban must be read in the context of the German state’s ongoing support for Israel’s genocide against the Palestinian people. It again reveals the relentless effort to criminalize the Palestinian liberation movement and its anti-genocide protests.
Several activists received pre-emptive bans from participating in any demonstrations between 7–12 October — a suspension of the fundamental right to protest that has been repeatedly imposed over the past two years.
Despite the ban, around 1,000 protesters gathered at Neptunbrunnen at 18:00. Police immediately encircled the crowd and ordered dispersal; protesters remained steadfast in their call for liberation.
Our documentation team — observers, medics, and legal monitors — accompanied the demonstration and collected eyewitness reports, testimonies from detainees, and video, audio, and photographic evidence.
Around 19:30, police kettled roughly 500 people on Rathausstraße. What followed were mass arrests and disproportionate, unlawful force.
We documented at least 120 arrests, 30+ involving pain grips.
At least four minors were arrested; given the volume of arrests, not all ages could be verified.
Police repeatedly stormed the kettled crowd, detaining people arbitrarily; protesters inside the kettle were punched in the face, shoved, and kicked.
At least twice, detainees were dragged so violently from the kettle that they lost consciousness and required medical care.
Medical findings: Paramedics recorded multiple panic attacks with severe shortness of breath (hyperventilation), two temporarily unconscious people, bruised ribs and other injuries from blows, and several acute psychological crises. Multiple ambulances were dispatched.
At the outset, police threatened paramedics with being counted as participants and removed if people gathered — despite the 2019 rule that demonstration medics are not counted as participants. One paramedic testified that Unit 13 denied treatment and physically pushed them away from a critical patient.
Kettled protesters were denied basic needs, including access to toilets. Only after three hours were minors and people requiring medical assistance allowed to leave. When supporters outside attempted to provide water and fruit, police issued dispersal orders.
Personal testimony:
“I have long joined Berlin demonstrations in solidarity with Palestine and against atrocities enabled by German support. That history made me — like many others — a police target. I was kept on the street for over four hours; around 23:30 an officer said I’d be taken into custody “to ensure I wouldn’t return,” and held until midnight — although the ride to the detention center (Gesa) takes ~20 minutes. Once there, my detention, like others in the same situation, was arbitrarily extended to 02:00. The purpose was plainly intimidation. Only a lawyer’s intervention made the plan clear; without her, we might not have been released. This is yet another example of the systematic restriction of freedom of expression and assembly.”
Parliamentary observers from DIE LINKE were present to document police conduct and were pushed away on several occasions. Journalists documenting the protest were also pushed — and in some cases pepper-sprayed.
Documented forms of police violence included:
Punches to the head, chest, and abdomen, risking serious injury
Forcing protesters to the ground during arrests
Dragging protesters brutally from the crowd
Use of pain grips and chokeholds
Slamming restrained protesters against police vehicles and continuing pain grips
Preventing contact between detainees and witnesses/lawyers for personal-data communication
After hours of unflinching courage from those trapped in the kettle and the crowd standing in solidarity outside, the demonstrators finally broke the kettle at 23:30 after several attempts.
It was a clear, nonviolent victory — won in spite of police repression and violence.
Police Violence Must End
Freedom of assembly and expression are fundamental rights that must be upheld for all. We reject state repression used to intimidate and criminalize those who stand against colonial oppression. The fight for justice and liberation will continue.
We demand:
An immediate end to all police violence.
An independent investigation into the mass kettling, mass arrests, and police brutality at the demonstration.
Suspension of officers responsible for excessive force and mistreatment of detainees.
Child-protection measures at demonstrations and full compliance with the UN Convention on the Rights of the Child.
No obstruction of journalists in the exercise of their work.
Protective measures to ensure the safety of vulnerable groups at protests, including children, youth, women, trans, non-binary and queer people, and refugees.
We call on civil society and human-rights organizations to document and investigate police violence against Palestinian-led protests in Germany.
We will not be silenced. The protest for a free Palestine will continue on the streets of Berlin.