Statement zur Polizeigewalt auf der Demonstration “Solidarität mit Palästina. Stoppt den Genozid. Keine Waffen für Israel” am 21. September 2024

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English Version below

Von Palästina Spricht, PA-Allies und der Arrest Press Unit

Berlin, 21. September 2024

Einkesselung und unverhältnismäßige Freiheitsentziehung nach Demo in Berlin 21.09.2024. Photo credit @egultekin_

Am 21. September 2024 demonstrierten in Berlin- Charlottenburg etwa 500 bis 600 Menschen friedlich aus Solidarität mit Palästina. Sie forderten ein Ende der deutschen Waffenlieferungen und des andauernden Völkermords.

Erneut stellen wir ungerechtfertigte oder unverhältnismäßige und damit rechtswidrige Polizeigewalt gegen die Demonstrierenden fest, insbesondere gegen Kinder und Jugendliche. Unser Dokumentationsteam fasst das Ausmaß der Polizeigewalt der Berliner Polizei auf der Basis von Augenzeugenberichten, Berichten von Betroffenen und Videodokumentation zusammen.

Ersten Berichten vor Ort zufolge wurden zwischen 60 und 70 Versammlungsteilnehmende von der Polizei festgenommen, darunter ein Kind und vier jugendliche Minderjährige – ein 11-jähriger Junge, zwei 14-Jährige, ein 16-Jähriger und ein 17-Jähriger, sowie ein Journalist von Alaraby TV und ein Pressefotograf. Eine Gruppe von Demonstrierenden wurde auf dem Nachhauseweg von der Polizei verfolgt und am Bahnhof Yorckstraße eingekesselt, bevor sie massenhaft festgenommen wurden.

Einkesselung und unverhältnismäßige Freiheitsentziehung nach Demo in Berlin 21.09.2024. Photo credit @egultekin_

Der Umgang der Polizei mit rassifizierten Kindern und Jugendlichen ist besonders alarmierend und ein Zeichen für eine rassistische, unverhältnismäßige und damit rechtswidrige Praxis der Berliner Polizei. Mehreren Zeugenaussagen und Videos zufolge war die Verhaftung des elfjährigen Kindes grundlos und gefährlich für das Kind. Das Kind lief mit einer Palästina Flagge in der Hand vor der Gedächtniskirche, als auf einmal mehrere Polizeibeamt:innen versuchten den Elfjährigen festzunehmen. Das Kind begann, in einer typisch kindlichen Reaktion, wegzurennen, da es sich bedroht fühlte durch die Polizei. Aus Augenzeugenberichten und Videodokumentation wird deutlich, dass die Polizei hier vollkommen unangemessen gegenüber dem 11jährigen Kind reagierte: Mehrere Polizeibeamte jagten den Jungen über eine weite Strecke über den Breitscheidplatz, die Treppen der Gedächtniskirche hinauf und hinunter, was ein hohes Risiko für die körperliche Unversehrtheit des Kindes darstellte. Erst als ein Versammlungsteilnehmer sich schützend vor das Kind stellte und ihm ein Gefühl von Sicherheit vermittelte, war es dem Kind möglich stehen zu bleiben. Das Kind wurde daraufhin gewaltsam von dem ihn schützenden Versammlungsteilnehmer getrennt. Ungefähr 12 Polizeibeamte umringten das Kind und führten es zum Polizeiwagen. Das Kind weinte und war sichtlich in großer Verzweiflung. Die Polizeibeamt:innen reagierten weder auf die Panik des Jungen, noch auf die Ansprache der Versammlungsteilnehmer:innen, den Grund für die Festnahme zu erfahren und den Jungen frei zu lassen. Ein Augenzeuge berichtet:

"Ich bat einen der Polizisten darum, mich zu dem Kind durchzulassen und seine Festnahme zu begleiten, da ich den Jungen kannte und ihn beruhigen wollte. Der Polizist verweigerte das jedoch und sagte, wir sollten besser auf unsere Kinder aufpassen, dann würde so etwas auch nicht passieren."

Einkesselung und unverhältnismäßige Freiheitsentziehung nach Demo in Berlin 21.09.2024. Photo credit @egultekin_

Die Beamt:innen schoben den Jungen allein in den Polizeiwagen und schlossen die Tür. Als mehrere besorgte Versammlungsteilnehmende die Polizei ansprachen, um sicherzustellen, dass die Eltern des Kindes informiert werden würden, wurde eine Demonstrantin von einem Polizeibeamten ins Gesicht geschlagen. Sie erlitt eine Augenverletzung, die im Krankenhaus behandelt werden musste. Als der Vater des Elfjährigen eintraf, war der Junge bereits 90 Minuten allein im Polizeiwagen festgehalten worden. Die Familie des Jungen berichtet, dass der Junge seit der Festnahme unter Schock stehe und traumatisiert sei.

Die Polizei zeigte zudem, dass sie die Pressefreiheit missachtet. Während der Demonstration wurden ein Fotojournalist und ein Videoreporter von Alaraby TV verhaftet, obwohl beide ihre Presseausweise deutlich sichtbar trugen. Im zweiten Fall dokumentierte der Reporter die Verhaftung eines Demonstranten. Ein Polizeibeamter griff nach der Kamera des Reporters, um die Dokumentation der Verhaftung zu unterbinden. Als der Kameramann versuchte, seine Arbeitsausrüstung zu schützen, wurde auch er gewaltsam festgehalten und in Gewahrsam genommen.

Einkesselung und unverhältnismäßige Freiheitsentziehung nach Demo in Berlin 21.09.2024. Photo credit @egultekin_

Die Eskalation der Polizeigewalt gegenüber der friedlichen Demonstration war damit noch nicht beendet, sondern erreichte nach Ende der Versammlung ein beispielloses Ausmaß. Etwa 50-60 Versammlungsteilnehmende, die die Demonstration mit der U-Bahn vom Kurfürstendamm aus verlassen hatten, wurden von der Polizei am Bahnhof Yorckstraße angehalten. Die Polizei zwang die Menschen, darunter auch unbeteiligte arabisch gelesene Fahrgäste, die U-Bahn zu verlassen und hielt sie länger als zwei Stunden lang im Bahnhof Yorckstrasse fest, dessen Ausgänge sowie der Zugverkehr inzwischen blockiert waren.

Der Polizeieinsatz wirft nach Aussage eines vor Ort anwesenden Rechtsanwalts M. Yilmaz rechtliche Fragen auf:

"Die langandauernde Einkesselung (2-3 Stunden) könnte als unverhältnismäßige Freiheitsentziehung gewertet werden“.

Polizeigewalt auf Demo in Berlin 21.09.2024. Photo credit @egultekin_

Den Festgesetzten wurde der Grund der freiheitsentziehenden Maßnahme erst verspätet mitgeteilt. Weiterhin wurde den eingekesselten Menschen Zugang zu Grundbedürfnissen wie Wasser, Nahrung und sanitären Einrichtungen verwehrt. Der Polizeieinsatz, der in einer Massenverhaftung endete, verletzte demnach nach Aussage des anwesenden Rechtsanwalts mehrere Grundrechte der Versammlungsteilnehmer:innen. Eine Frau wurde während der Festnahme von einem Polizisten verbal sexuell belästigt: "Bist Du im Bett auch so eine Löwin?".

Eine andere Frau wurde während der Festnahme brutal zu Boden gedrückt, sodass sie nur noch schwer atmen konnte. Die Frau musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Eine weitere Frau, die ihre Menstruation hatte, erhielt erst nach langen Verhandlungen mit der Polizei Zugang zueiner Toilette. Darüber hinaus wies die Polizei die Betroffene an, die Tür der Toilette offen halten, eine Bedingung, die eine Verletzung der Würde darstellt.

Einkesselung und unverhältnismäßige Freiheitsentziehung nach Demo in Berlin 21.09.2024. Photo credit @egultekin_

Ein 16 jähriger wurde von einem Polizeibeamten mit Schmerzgriff festgenommen, zu Boden gebracht und geschlagen. Zudem wurde ein Jugendlicher von einem Polizisten rassistisch beleidigt: "Du siehst ja aus wie ein Affe."

Die Polizei schränkte auch die Religionsfreiheit ein, als sie zwei Männer, die das islamische Abendgebet hielten, grundlos unterbrach und ihre Ausweisdokumente kontrollierte.

Wie schon bei früheren pro-palästinensischen Demonstrationen behinderte die Polizei auch hier

Erste-Hilfe-Einsätze, indem sie Anrufe beim Rettungsdienst behinderte und dadurch den Zugang zu Hilfe für verletzte oder bewusstlose Demonstrierende verzögerte. Wir sind höchst alarmiert von der rassistischen und unverhältnismäßigen Polizeigewalt, die sich insbesondere gegen rassifizierte Kinder und Jugendliche wendet. Kinder unter 14 Jahren sind strafunmündig. Jedes Kind hat ein Recht darauf, vor Gewalt geschützt zu werden, so auch Artikel 19 der UN-Kinderrechtskonvention. Die Polizeigewalt muss gestoppt werden. Das Versammlungsrecht muss für alle Menschen gelten.

Wir fordern:

  • einen sofortigen Stopp der rechtswidrigen Polizeigewalt, insbesondere gegen Kinder und Jugendliche

  • eine unabhängige Untersuchung der Polizeigewalt

  • lückenlose Aufklärung der sexuellen Belästigung einer Versammlungsteilnehmenden durch einen Polizeibeamten

  • Einleitung einer gerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit der Einkesselung

English version

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Statement on police violence at the demonstration

"Solidarity with Palestine. Stop the genocide. No weapons for Israel" on September 21, 2024

From Palestine Speaks, PA Allies and the Arrest Press Unit

Police violence at protest in Berlin 21.09.2024. Photo credit @egultekin_

Berlin, September 21, 2024

On September 21, 2024, around 500 to 600 people demonstrated peacefully in Berlin-Charlottenburg in solidarity with Palestine. They demanded an end to German arms deliveries and the ongoing genocide. Once again, we have observed disproportionate and unjustified police violence against the demonstrators, especially against children and young people. Our documentation team summarizes the extent of police violence by the Berlin police on the basis of eyewitness accounts, reports from those affected, and video documentation.

According to initial reports on the ground, between 60 and 70 rally participants were arrested by the police, including five minors- an 11-year-old boy, two 14-year-olds, a 16-year-old and a 17-year-old- along with a journalist from Alaraby TV and a press photographer. A group of protesters were chased by police on their way home and surrounded at Yorckstraße station before being arrested en masse.

Kettling and police violence at protest in Berlin 21.09.2024. Photo credit @egultekin_

The police's treatment of racialized children and young people is particularly alarming and a sign of the racist, disproportionate and unlawful practices of the Berlin police. According to several witness statements and videos, the arrest of the eleven-year-old child was unprovoked and dangerous for the child. The child was walking with a Palestinian flag in his hand in front of the Gedächtniskirche (Memorial Church) when several police officers suddenly tried to arrest the eleven-year-old. This prompted the child to run away as he felt threatened by the police. Eyewitness reports and video documentation make it clear that the police reacted completely inappropriately towards the 11-year-old child: the police officers chased the boy over a long distance across Breidscheidtplatz, up and down the stairs of the Memorial Church, which posed a high risk to the physical integrity of the child. The child was only able to stand still when a member of the demonstration stood in front of the child to protect him and give him a sense of security. The child was then forcibly separated from the demonstration member protecting him. Twelve police officers surrounded the child and took him to the police car. The child was crying and visibly distressed. The police officers did not react to the boy's panic or to the protestors requesting the reason for hunting the child down and their pleas to release the boy. One eyewitness reported:

"I asked one of the police officers to let me through to the child and accompany his arrest, as I knew the boy and wanted to calm him down. But the policeman refused and said we should take better care of our children, then something like this wouldn't happen."

Police violence at protest in Berlin 21.09.2024. Photo credit @egultekin_

The officers pushed the boy into the police car and closed the door. When several concerned rally participants approached the police to ensure that the child's parents would be informed, a female demonstrator was punched in the face by a police officer. She suffered an eye injury that had tobe treated in hospital. When the eleven-year-old's father arrived, the boy had already been detained alone in the police car for 90 minutes. The boy's family reported that the boy had been in shock and traumatized since the arrest.

The police also showed that they disregard freedom of the press. During the demonstration, a photojournalist and a video reporter from Alaraby TV were arrested, although both were clearly wearing their press cards. In the second case, the reporter was documenting the arrest of a demonstrator. A police officer grabbed the reporter's camera to stop the documentation of the arrest. When the cameraman tried to protect his work equipment, he too was violently arrested.

The escalation of police violence against the peaceful demonstration did not end there, but reached unprecedented proportions after the assembly had ended. Around 50-60 participants who had left the demonstration by U-Bahn (subway) from Kurfürstendamm were stopped by the police at Yorckstraße station. The police forced the people, including uninvolved passengers who might have been assumed to be Arab by the police, to leave the subway and detained them for more than two hours in the train station, whose exits and train services were blocked in the meantime.

According to the lawyer M. Yilmaz, who was present at the scene, the police operation raises legal questions:

"The prolonged confinement (2-3 hours) could be considered a disproportionate deprivation of liberty".

Police violence at protest in Berlin 21.09.2024. Photo credit @egultekin_

The detainees were only informed of the reason for the deprivation of liberty until afterward. Furthermore, the detainees were not given access to basic necessities such as water, food and toilet facilities. According to the lawyer present, the police operation, which ended in a mass arrest, violated several fundamental rights of the assembly participants.One woman was verbally sexually harassed by a police officer during the arrest: "Are you also such a lioness in bed?". Another woman was brutally pushed to the ground during the arrest, making it difficult for her to breathe. The woman had to be taken to the hospital. Another woman, who was menstruating, was only given access to a toilet after lengthy negotiations with the police. In addition, the police ordered the victim to keep the door open, a condition that constitutes a violation of dignity. A 16-year-old boy was arrested by a police officer with a pain grip, brought to the ground and beaten. In addition, a youth was racially insulted by a police officer: "You look like a monkey". The police also restricted freedom of religion when they interrupted two men performing Islamic evening prayers for no reason and checked their identity documents.

As in previous pro-Palestinian demonstrations, the police obstructed first aid operations by obstructing calls to the emergency services, thereby delaying access to help for injured or unconscious demonstrators. We are extremely alarmed by the racist and disproportionate police violence directed in particular against racialized children and young people. Children under the age of 14 are not criminally liable. Every child has the right to be protected from violence, as stated in Article 19 of the UN Convention on the Rights of the Child. Police violence must be stopped. The right to assembly must apply to all people.

We demand:

  • an immediate stop to disproportionate and unjustified police violence, especially against children and young people

  • an independent investigation into the police violence

  • a complete investigation into the sexual harassment of a demonstration participant by a police officer

  • Initiation of a judicial review of the legality and proportionality of the containment/kettling

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Statement zur Polizeigewalt auf der Demonstration"Palestine resists. It started long before October 7th” am 06. Oktober 2024 in Berlin

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Statement zur Polizeigewalt auf der Demonstration “Solidarität mit Palästina. Stoppt den Genozid. Keine Waffen für Israel” am 14. September 2024