Statement zur Polizeigewalt auf der Demonstration"Palestine resists. It started long before October 7th” am 06. Oktober 2024 in Berlin
Von Palästina Spricht, PA-Allies und der Arrest Press Unit
Berlin, 07. Oktober 2024
Am 06. Oktober 2024 demonstrierten in Berlin-Kreuzberg mehr als 15.000 Menschen friedlich aus Solidarität mit Palästina. Die Demonstration wurde von 15 palästinensischen und pro-palästinensischen, auch jüdischen, Gruppen organisiert. Die Demonstrierenden forderten einen sofortigen Stopp des Völkermords in Gaza, sowie eine umgehende Einstellung der Waffenlieferungen der Bundesregierung an Israel.
Schon in den Tagen vor der Demonstration wurde die Versammlungsfreiheit mehrerer Aktivst*innen eingeschränkt: So führte die Berliner Polizei fünf Hausdurchsuchungen bei palästinensischen und Palästina-solidarischen Aktivist*innen durch. Die Polizei wandte bei den Hausdurchsuchungen ungerechtfertigter und unverhältnismäßiger Weise Gewalt an (Fixierung am Boden), brach Türen auf, wechselte Schlösser aus und beschlagnahmte Eigentum. Zudem machte die Polizei Gefährderansprachen bei mehreren Aktivist*innen und sprach pauschale Verbote aus an jedweden Palästina-solidarischen Verstaltungen zwischen dem 5. und 7. Oktober 2024 teilzunehmen.
Erneut stellen wir unverhältnismäßige und damit rechtswidrige Polizeigewalt gegen die Demonstrierenden fest. Wir sind alarmiert von der hohen Anzahl von verletzten Versammlungsteilnehmenden durch Polizeigewalt und insbesondere von dem willkürlichen Einsatz von Pfefferspray auch gegen Familien, Kinder und Menschen mit Behinderung.
Unser Dokumentationsteam fasst das Ausmaß der Polizeigewalt der Berliner Polizei auf der Basis von Augenzeugenberichten, Berichten von Betroffenen und Videodokumentation zusammen.
Ersten Berichten vor Ort zufolge wurden 45-50 Versammlungsteilnehmende von der Polizei festgenommen, darunter eine Person im Rollstuhl unter Gewaltanwendung. Bei mehreren gewaltsamen Festnahmen, sowie durch den willkürlichen Einsatz von Pfefferspray wurden zahlreiche Versammlungsteilnehmende verletzt, teilweise schwer. Wie bereits auf vorherigen Protesten kündigte die Polizei ihre Maßnahmen nicht an, sondern wandte unverhältnismäßige Gewalt gegen die Festgenommenen an. Die Polizeibeamten schlugen auf die Festgenommenen ein, boxten sie, drückten sie zu Boden und hinderten sie am Atmen, indem sie ihnen Mund und Nase verdeckten.
Sanitäter*innen vor Ort berichten, dass es bei einem Versammlungsteilnehmenden durch Polizeigewalt zu einer Kopfverletzung und Bewusstlosigkeit kam. Eine weibliche Versammlungsteilnehmende wurde von Polizeibeamten gewaltsam zu Boden gestoßen, so dass ihr Arm gebrochen wurde. Sie musste zur Behandlung ins Krankenhaus. Die Sanitäter*innen dokumentierten bei zwei Versammlungsteilnehmenden blutende und vermutlich gebrochene Nasen, sowie blutende Lippen, Verletzungen an Augen und Knien durch Polizeigewalt. Zudem berichteten mehrere Versammlungsteilnehmende von Atemnot und starken Kopfschmerzen durch den massenhaften Einsatz von Pfefferspray. Sanitäter*innen berichten, dass sie beim Versuch die Verletzten medizinisch zu versorgen teilweise von Polizeibeamt*innen weggeschubst wurden. Auch mussten Sanitäter*innen Verletzte wegtragen vom Geschehen, da die Polizei keine Rücksicht auf die medizinische Hilfeleistung der Verletzten nahm.
Wie in mehreren Videos dokumentiert, stürmte die Polizei die Demonstration diesmal besonders gewaltvoll gegen Ende der Demonstration: Die Polizeibeamten wärmten sich auf, rannten dann in einer Reihe in die Menge, stürzten dabei mehrere Versammlungsteilnehmende zu Boden und setzten wahllos Pfefferspray gegen die Versammlungsteilnehmenden ein. Hierbei wurden auch zahlreiche Familien und Kinder von Pfefferspray getroffen. In mehreren Fällen umzingelten mehr als 10 Poliziste*innen die Festgenommenen und setzten wiederum Pfefferspray ein, um Journalist*innen und Zeug*innen daran zu hindern, die Polizeigewalt zu dokumentieren.
Ein Augenzeuge berichtet: "Die Polizei verhinderte am Ende der Demonstration, dass wir den Ort friedlich verlassen konnten. Alles war abgesperrt, der U-Bahnhof Schönleinstraße, zur Sonnenallee kamen wir nicht durch. Die Polizei setzte willkürlich Pfefferspray ein und es entstand eine Massenpanik."
Wie schon bei früheren pro-palästinensischen Demonstrationen nahm die Polizei auch nach dem Ende der Demonstration weiterhin Personen fest, die nichts mit den Ereignissen zu tun hatten, so dass wir von racial profiling gegen alle arabisch, muslimisch und palästinensisch gelesene Menschen ausgehen müssen.
Der Umgang der Polizei mit rassifizierten Menschen ist besonders alarmierend und ein Zeichen für eine rassistische, unverhältnismäßige und damit rechtswidrige Praxis der Berliner Polizei. Insbesondere die Gewalt gegen besonderes schutzbedürftige Personen, wie Menschen mit Behinderung, ist nicht nur ethisch sondern auch rechtlich verwerflich. So wurde ein 68 jähriger Mann im Rollstull gewaltsam von der Polizei festgenommen und mehrere Meter über den Boden geschliffen. Wir verurteilen diese ableistische, entwürdigende und stark gesundheitsgefährdende Gewaltanwendung der Polizei aufs Schärfste!
Seit einem Jahr sind Menschen, die sich wöchentlich auf der Straße versammeln, um gegen den Völkermord an der palästinensischen Bevölkerung und nunmehr auch den israelischen Völkerrechtsverbrechen v.a. im Libanon zu demonstrieren, Polizeigwalt und Repressionen ausgesetzt. Das Vorgehen der Polizei verstößt gegen das verfassungsmäßige Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit. Wir verurteilen diese autoritäre Entwicklung der Staatsgewalt. Die Polizeigewalt muss gestoppt werden. Das Versammlungsrecht muss für alle Menschen gelten.
Wir fordern:
in sofortiges Ende der unverhältnismäßigen und rechtswidrigen Polizeigewalt
eine unabhängige Untersuchung und Aufarbeitung der Polizeigewalt
die Suspendierung von Polizeibeamten, die rechtswidrige Gewalt anwenden
die Einführung Kinderschutzmaßnahmen auf den Demonstrationen, sowie die bedingungslose Einhaltung der UN-Kinderrechtskonvention
Schutzmaßnahmen für vulnerable Gruppen, z.B. Menschen mit Behinderung, vor Polizeigewalt
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English version
Statement on police violence at the demonstration "Palestine resists. It started long before October 7th” on October 6th, 2024
By Palästina Spricht, PA-Allies and the Arrest Press Unit
Berlin, October 7th, 2024
On October 6, 2024, more than 15,000 people demonstrated peacefully in Berlin-Kreuzberg in solidarity with Palestine. The demonstration was organized by 15 Palestinian and pro-Palestinian, including Jewish, groups. The demonstrators demanded an immediate stop to the genocide in Gaza and an immediate end to arms deliveries from the German government to Israel.
The freedom of assembly of several activists had already been restricted in the days leading up to the demonstration: the Berlin police carried out five house searches on Palestinian and Palestine solidarity activists. During the house searches, the police used unjustified and disproportionate force (fixing people to the ground), broke down doors, changed locks and confiscated property. In addition, the police made threatening statements to several activists and banned them from participating in Palestine solidarity events between October 5 and 7.
Once again, we note disproportionate and therefore unlawful police violence against the demonstrators. We are alarmed by the high number of injured assembly participants due to police violence and in particular by the arbitrary use of pepper spray, including against families, children and people with disabilities.
Our documentation team summarizes the extent of police violence by the Berlin police on the basis of eyewitness accounts, reports from those affected and video documentation.
According to initial reports on the ground, 45-50 assembly participants were arrested by the police, including one person in a wheelchair who was subjected to violence. Several violent arrests and the indiscriminate use of pepper spray resulted in numerous rally participants being injured, some of them seriously. As at previous protests, the police did not announce their actions but used disproportionate force against those arrested. The police officers beat the detainees, punched them, pushed them to the ground and prevented them from breathing by covering their mouths and noses.
Paramedics on site reported that one of the assembly participants suffered a head injury and lost consciousness as a result of police violence. A female rally participant was violently pushed to the ground by police officers, resulting in her arm being broken. She had to go to hospital for treatment. The paramedics documented bleeding and presumably broken noses, bleeding lips and injuries to the eyes and knees caused by police violence on two assembly participants. In addition, several assembly participants reported shortness of breath and severe headaches due to the mass use of pepper spray. Paramedics reported that they were sometimes pushed away by police officers when trying to provide medical care to the injured. Paramedics also had to carry injured people away from the scene as the police showed no consideration for the medical assistance of the injured.
As documented in several videos, this time the police stormed the demonstration with particular violence towards the end of the demonstration: the police officers warmed up, then ran into the crowd in single file, knocking several rally participants to the ground and indiscriminately using pepper spray against the rally participants. Numerous families and children were also hit by pepper spray. In several cases, more than 10 police officers surrounded the detainees and again used pepper spray to prevent journalists and witnesses from documenting the police violence.
One eyewitness reported: “At the end of the demonstration, the police prevented us from leaving the site peacefully. Everything was cordoned off, the Schönleinstraße subway station, we couldn't get through to Sonnenallee. The police used pepper spray at random and a mass panic ensued.”
As with previous pro-Palestinian demonstrations, the police continued to arrest people after the end of the demonstration who had nothing to do with the events, so that we must assume racial profiling against all Arab, Muslim and Palestinian people.
The police's treatment of racialized people is particularly alarming and a sign of a racist, disproportionate and therefore unlawful practice by the Berlin police. In particular, violence against people in need of special protection, such as people with disabilities, is not only ethically but also legally reprehensible. For example, a 68-year-old man in a wheelchair was forcibly arrested by the police, dragged out of his wheelchair and dragged several meters along the ground. We strongly condemn this abusive, degrading and extremely dangerous use of force by the police!
For a year now, people who gather on the streets every week to demonstrate against the genocide of the Palestinian population and now also against Israel's crimes under international law, particularly in Lebanon, have been subjected to police violence and repression. The actions of the police violate the constitutional right to freedom of expression and freedom of assembly. We condemn this authoritarian development of state power. Police violence must be stopped. The right of assembly must apply to all people.
We demand:
an immediate end to disproportionate and unlawful police violence
an independent investigation and review of police violence
the suspension of police officers who use unlawful violence
the introduction of child protection measures at demonstrations and unconditional compliance with the UN Convention on the Rights of the Child
protective measures for vulnerable groups, such as people with disabilities, from police violence