Statement zu Festnahmen und polizeilicher Kriminalisierung – Demonstration “No deportations to Greece – No deportations for Gazans – No deportations for anyone” am 12. April 2025 in Berlin
English version below:
Um die Dokumentation von der Staatsrepression und Polizeigewalt bei Demonstrationen an einem Ort einfach zugängig zu machen, wird das folgende Statement von PA-Allies und der Arrest Press Unit hier auch auf der PS Webseite mit Erlaubnis von PA-Allies und der Arrest Press Unit aufgelistet:
von Pallies und der Arrest Press Unit
Berlin, 12. April 2025
Am 12. April 2025 versammelten sich Demonstrierende um 14 Uhr auf dem Leopoldplatz in Berlin, um gegen die eskalierende Abschiebungspolitik Deutschlands zu protestieren – insbesondere gegen die drohenden Abschiebungen von palästinensischen Geflüchteten nach Griechenland sowie gegen die systematische Repression von Überlebenden des Genozids aus Gaza. Die Demonstration forderte ein sofortiges Ende aller Abschiebungen und prangerte die aktive Rolle des deutschen Staates beim Genozid in Gaza an. Obwohl die Demonstration durchweg gewaltfrei verlief, reagierte die Berliner Polizei erneut mit brutaler Gewalt und Kriminalisierung der Versammlungsteilnehmenden. Acht Personen wurden festgenommen, mehrere von ihnen wurden von der Polizei schwer körperlich misshandelt.
Die folgenden dokumentierten Vorfälle zeigen die gezielte und anhaltende Repression gegen Migrant*innen, Palästinenser*innen und ihre solidarischen Verbündeten.
Polizeigewalt und Festnahmen gegen das Awareness-Team und Demonstrierende:
Mindestens vier Versammlungsteilnehmende wurden durch die Polizei massiv körperlich angegriffen.
Ein Mitglied des Awareness-Teams der Demonstration wurde brutal und ohne nachvollziehbaren Grund festgenommen – angeblich, nachdem sie fälschlicherweise von einer vollständig vermummten Person, mutmaßlich einem Journalisten der Jüdischen Allgemeinen, beschuldigt wurde, Nahaufnahmen gemacht zu haben. Die betroffene Person erklärte ruhig und sachlich, dass sie keine Nahaufnahme gemacht habe, woraufhin die anklagende Person verschwand. Etwa 15 Minuten später, als sie sich von der Demonstration entfernte, um sich auf eine Treppe zu setzen, wurde sie plötzlich von hinten von der Polizei angegriffen. Ein Beamter verdrehte ihr den Arm schmerzhaft nach oben, sodass die Naht ihres Pullovers und ihrer Warnweste sich in ihre Haut schnitten. Sie schrie vor Angst und erklärte wiederholt, dass von ihr keinerlei Gefahr ausgehe und dass sie kooperieren wolle – dennoch setzten die Beamten die Gewalt fort und ignorierten ihre Rufe nach Hilfe.
In diesem Moment wurde sie zusätzlich von hinten am Kragen, an der Weste und an ihrer Kufiya gepackt und gewaltsam nach hinten gezogen, während sie gleichzeitig am Arm nach vorne in Richtung Polizeiwagen gestoßen wurde. Sie versuchte mit dem Arm die Kleidungsstücke von ihrem Hals zu lösen, bekam kaum Luft und machte aufgrund der Strangulierung Würgegeräusche. Die Reaktion eines der Beamten lautete höhnisch: „Du wolltest doch kooperieren – dann sprich.“ Obwohl sie deutlich sichtbar unter Zwang stand und keine Kontrolle über ihre Bewegung hatte, wurde ihr später vorgeworfen, sie habe sich dem Polizeizugriff widersetzt – weil sie durch das gewaltsame Ziehen ins Straucheln geraten war. Die von der Polizei verursachte Gewalt wurde ihr als „Widerstand“ ausgelegt.
Sie sagte immer wieder: „Es tut weh“, „Ich kooperiere“, „Sie haben mein Oberteil zerrissen“, „Bitte hören Sie auf – das ist absolut unverhältnismäßig.“ Am Polizeiwagen angekommen, stand sie sichtlich unter Schock und schrie, um die Beamt*innen auf Abstand zu halten. Sie bat eindringlich darum, von einer weiblichen Beamtin behandelt zu werden, um der fortgesetzten Gewalt durch die beiden männlich gelesenen Beamten zu entgehen.
Bereits vor der Festnahme war sie von einem der beteiligten Beamten gezielt ins Visier genommen worden – derselbe Polizist hatte während der Demonstration wiederholt einen Teilnehmer im Rollstuhl verbal angegangen (nicht Abou Mustafa). Als sie diesen Beamten zur Rede stellte und bat, dessen Dienstnummer fotografieren zu dürfen, verdeckte er diese mit seiner Kamera und sagte sinngemäß: „Du solltest heute lieber ruhig sein.“ Anschließend schubste er sie.
Auch andere Mitglieder des Awareness-Teams sowie Teilnehmende der Demonstration wurden gewaltsam festgenommen. Eine Frau wurde zu Boden gestoßen und von drei Polizisten geschlagen, obwohl sie keinen Widerstand leistete.
Ein junger, rassifizierter Mann wurde geschlagen, festgenommen und mit Handschellen fixiert, obwohl er keinen Widerstand leistete. Die Polizei wurde beobachtet, wie sie sich gezielt mit Handschuhen und Helmen auf Eskalation vorbereitete – ohne jegliche Provokation durch die Demonstrierenden.
Medizinische Vernachlässigung und Misshandlung in Gewahrsam:
Einem Versammlungsteilnehmendenmit sichtbaren Verletzungen im Gesicht und einem blutenden Auge, verursacht durch Polizeigewalt, wurde durch die Polizei medizinische Versorgung verweigert – obwohl Sanitäterinnen vor Ort mehrfach aufforderten, ihn ins Krankenhaus zu bringen. Stattdessen wurde er von der Polizei in Gewahrsam gebracht.
Drei weitere Versammlungsteilnehmende wurden über längere Zeit in einem mobilen Gefangenentransporter eingesperrt. Auch hier wurde Anwält*innen der Zugang zu den Festgenommenen verweigert.
Repression gegen Geflüchtete aus Gaza durch verdeckte Drohschreiben:
Mindestens vier Personen – überwiegend Geflüchtete aus Gaza – wurden von Zivilpolizist*innen angesprochen und erhielten sogenannte Gefährderansprachen. In diesen Schreiben werden sie ohne jegliche rechtliche Grundlage davor „gewarnt“, sich im Zusammenhang mit zukünftigen Protesten – insbesondere am 1. Mai – „strafbar“ zu machen. Auch ein deutscher Demonstrationsteilnehmer erhielt ein solches Schreiben. Diese Taktik stellt eine gezielte Form der politischen Einschüchterung dar. Sie richtet sich gegen Menschen nicht aufgrund realer Straftaten, sondern aufgrund vermuteter Zugehörigkeiten und solidarischer Haltung. Es ist eine Fortsetzung der Überwachung, Verfolgung und Repression palästinensischer Stimmen in Deutschland.
Behinderung der Pressearbeit und Einschränkung der Pressefreiheit:
Ein akkreditierter Medienvertreter wurde von der Polizei daran gehindert, Festnahmen zu dokumentieren. Die Polizei erkannte seinen Presseausweis nicht an und sagte: „Du bist Aktivist, kein Journalist“, und verbot ihm das Filmen. Auch andere Journalist*innen wurden zurückgedrängt und an ihrer Arbeit behindert. Dies stellt eine schwere Verletzung der Pressefreiheit dar und reiht sich in eine bekannte Praxis ein, polizeiliche Gewalt gezielt der öffentlichen Dokumentation zu entziehen.
Doppelte Standards bei der Polizeibegleitung und Straffreiheit für extrem rechte Akteure:
Während pro-palästinensische Demonstrierende kriminalisiert, gewaltsam festgenommen und fürvermeintliche Verstöße bedroht wurden, ließ die Polizei eine kleine Gegenkundgebung unbehelligt passieren – mit Israel-Flaggen und einem Banner mit der Aufschrift „Kriminelle abschieben“.
Besonders schockierend war die Teilnahme einer Person mit einem T-Shirt des Logos von „Kach“ – einer extrem rechten israelischen Organisation, die offiziell als Terrororganisation eingestuft ist: von Israel (Israeli Democracy Institute), den Vereinigten Staaten (U.S. Department of State), Kanada (Public Safety Canada) und der Europäischen Union (EUR-Lex). Die Berliner Polizei unternahm dennoch nichts und bezeichnete den Verlauf der Gegenkundgebung als „ohne Vorkommnisse“.
Diese Doppelmoral macht die rassistische und politische Voreingenommenheit deutscher Polizeistrukturen sichtbar. Palästinensische Demonstrierende werden für Symbole, Gesten und Flaggen kriminalisiert – selbst wenn deren rechtlicher Status in Deutschland ungeklärt ist oder vor keinem Gericht angefochten wurde. Gleichzeitig wird die offene Verherrlichung von Terror durch zionistische Rechte widerspruchslos hingenommen.
Diese Repression ist kein Einzelfall, sondern Teil eines breiten, zutiefst rassistischen Musters in Deutschland. Während der deutsche Staat inhumane Abschiebungspolitiken durchsetzt und durch Waffenlieferungen und bedingungslose Unterstützung Israels aktiv am Völkermord beteiligt ist, werden jene bestraft, die sich dagegen zur Wehr setzen. Wir stehen in voller Solidarität mit allen Betroffenen der Polizeigewalt vom 12. April und rufen alle Menschen mit Gewissen auf, diesen brutalen Taktiken entschieden entgegenzutreten. Der Kampf gegen Besatzung, Apartheid und staatliche Repression ist ein und derselbe.
Polizeigewalt muss gestoppt werden
Die Demonstrationen treten für Gerechtigkeit und Freiheit der Palästinenser*innen ein. Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit sind Grundrechte, die für alle gelten müssen. Weder Provokationen noch Polizeigewalt dürfen legitime Proteste einschränken. Der Protest gegen den mörderischen Rassismus in Deutschland und für ein freies Palästina wird auf den Straßen Berlins weitergehen.
Wir fordern:
ein sofortiges Ende der unverhältnismäßigen und rechtswidrigen Polizeigewalt
eine unabhängige Untersuchung und Überprüfung der Polizeigewalt
die Suspendierung von Polizist:innen, die rechtswidrige Gewalt anwenden
die Einführung von Kinderschutzmaßnahmen bei Demonstrationen und die uneingeschränkte Einhaltung der UN-Kinderrechtskonvention
Schutzmaßnahmen für gefährdete Gruppen, wie Menschen mit Behinderungen, vor Polizeigewalt
Wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen. Der Protest für ein freies Palästina wird weiter auf den Straßen Berlins stattfinden.
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Statement on Arrests and Police Criminalization – 12.04.2025
Protest “No deportations to Greece – No deportations for Gazans – No deportations for anyone” on April 12, 2025 in Berlin
by Pallies and the Arrest Press Unit
Berlin, April 12, 2025
On April 12, 2025, demonstrators gathered at 2 PM at Leopoldplatz in Berlin to protest Germany's escalating deportation policies, particularly the threatened deportations of Palestinian refugees to Greece and the systemic repression faced by genocide-surviving refugees from Gaza. The protest called for an immediate end to all deportations and denounced the German state’s active role in the genocide in Gaza. Despite the non-violent nature of the demonstration, Berlin police once again responded with excessive violence and criminalization. Eight people were arrested, with several subjected to extreme physical violence by the Berlin police.
The following documented incidents reveal the persistent and targeted repression of migrants, Palestinians, and their allies.
Police violence and arrests against awareness team and demonstrators:
At least four protestors were subjected to extreme physical violence by the police.
A member of the protest’s awareness team was brutally arrested without clear cause—allegedly following a false accusation by a fully masked individual, reportedly a journalist from the Jüdische Allgemeine, who claimed she had taken close-up photos of them. The arrested person calmly denied the accusation and explained there were no such photos, after which the accuser disappeared. Fifteen minutes later, as she was walking away from the demonstration to sit down on nearby steps, she was suddenly attacked from behind by police. One officer violently twisted her arm upwards, causing the seam of her sweatshirt and high-visibility vest to cut into her skin. She screamed in fear and assured officers she posed no threat, repeatedly stating she would cooperate. Still, the officers continued to injure her, ignoring her cries of pain. One officer pulled her back by the collar, vest, and keffiyeh—strangling her to the point that she struggled to breathe and made choking sounds. In response, one of the officers mockingly said: 'You wanted to cooperate, so speak.' Although she was clearly disoriented and physically restrained, she was accused of 'resisting arrest' simply for stumbling forward as they violently dragged her. The police-induced pain and suffocation were then reframed as supposed resistance. She repeatedly stated: 'It hurts,' 'I’m cooperating,' 'You tore my clothes,' and 'Please stop—this is completely disproportionate.' When they reached the police van, she was in visible shock and cried out for help, pleading to be handled by a female officer in order to escape further abuse by the two male-presenting officers. Prior to her arrest, she had also been targeted by one of these same officers after defending a wheelchair-using protester whom the officer had harassed. When she asked to document the officer’s badge number, he covered it with a camera and told her she 'should stay quiet today'—before shoving her."
Several other participants and awareness team members were violently arrested. One woman was thrown to the ground and beaten by three officers despite not offering resistance.
A young racialized man was beaten, assaulted, handcuffed, and detained. Police were observed putting on gloves and helmets, escalating their force deliberately and without provocation.
Medical neglect and abuse in detention:
One man, visibly injured by the police with a bleeding eye and face, was denied medical care despite medical workers urging police to send him to the hospital. Instead, he was taken to a detention center, demonstrating clear medical negligence. Three others were confined in a mobile arrest vehicle with the door shut for extended periods. Police also denied lawyers access to the detainees for a prolonged time.
Repression against Gaza refugees through covert warnings:
At least four protestors, primarily refugees from Gaza, were approached by plainclothes police and handed so-called Gefährderansprachen—letters warning them not to engage in any activity deemed "criminal" in connection with upcoming protests, particularly those planned around May 1st. This included one German protester. These letters are a clear form of political intimidation, targeting individuals based on perceived affiliations, rather than actual legal charges. This tactic builds on the chilling effect of previous surveillance, harassment, and repression of Palestinian voices.
Obstruction of press work and denial of press freedoms:
An accredited media worker was physically blocked from documenting arrests. Police dismissed their press ID, telling them, “You are an activist, not a media worker,” and barred them from filming. Other journalists were also pushed and obstructed. This represents a grave violation of freedom of press and echoes previous efforts to prevent the documentation of police violence.
Double standards in protest policing and impunity for far-right actors:
While pro-Palestinian protesters were criminalized, violently detained, and threatened for minor or alleged infractions, the police allowed a small counter-protest—displaying Israeli flags and a banner reading “Deport criminals”—to proceed without incident.
Particularly disturbing was the presence of a demonstrator wearing a T-shirt with the logo of 'Kach,' a far-right Israeli organization officially designated as a terrorist group by Israel (Israeli Ministry of Justice), the United States (U.S. Department of State – Foreign Terrorist Organizations), Canada (Public Safety Canada), and the European Union (Council of the EU – Common Position 2001/931/CFSP). Despite this, the Berlin police took no action against the individual, claiming the counter-protest “passed without incident.”
This blatant double standard exposes the racialized and political bias at the heart of German policing. Palestinian protestors are criminalized for symbolic gestures and flags, even when their legality is unclear or unchallenged by German courts—while open glorification of terrorism on the Zionist far-right is tolerated without consequence.
This repression is not an isolated incident, but part of a broader, deeply racist pattern in Germany. While the state enforces inhumane deportation policies and facilitates genocide through weapon delivery and its unconditional support of Israel, it simultaneously silences and punishes those who resist. We stand in full solidarity with all those targeted by the police on April 12 and call on all people of conscience to reject these brutal tactics. The fight against border violence, apartheid, and state repression is one and the same.
Police Violence Must Be Stopped
The demonstrations advocate for justice and freedom for Palestinians. Freedom of assembly and freedom of expression are fundamental rights that must be upheld for everyone. Neither provocations nor police violence should restrict legitimate protests. The protest for a free Palestine will continue on the streets of Berlin.
We demand:
an immediate end to disproportionate and unlawful police violence
an independent investigation and review of police violence
the suspension of police officers who use unlawful violence
the introduction of child protection measures at demonstrations and unconditional compliance with the UN Convention on the Rights of the Child
protective measures for vulnerable groups, such as people with disabilities, from police violence
We will not be silenced. The protest for a free Palestine will continue on the streets of Berlin.