Schwarz-Palästinensische Solidarität angesichts erneuter Repressionen - Statement von Palästina Spricht

Als feministische und anti-rassistische Koalition, die sich für die Rechte der Palästinenser:innen einsetzt und internationale und lokale anti-koloniale Kämpfe unterstützt, sind wir alarmiert von den unhaltbaren Anschuldigungen und den Verleumdungen, die der AStA der FH Münster gegenüber der Kommunikationssoziologin, Autorin, Künstlerin und Kuratorin Dr. Natasha A. Kelly am 10. Juli 2021 veröffentlicht hat.

Der inquisitorische Fragenkatalog und die autoritären Folgerungen des AStA der FH Münster gegen Dr. Natasha A. Kelly offenbaren rassistische Strukturen und Denkweisen, die es zu benennen und anzuklagen gilt.

Wir erkennen darin eine Fortführung von Repression und Silencing von Schwarzen Aktivist:innen und Akademiker:innen, die sich solidarisch mit den Palästinensern erklären und sich für deren Menschenrechte einsetzen. Der Repressionsversuch des AStA FH Münster verkennt die lange Tradition transnationaler und transhistorischer Solidarität zwischen Schwarzen und Palästinenser:innen, die uns bis heute auf  unserem Befreiungsweg inspiriert.

Der AStA der FH Münster wirft Kelly vor, den Offenen Brief von Palästina Spricht vom 15. Mai 2021 unterschrieben zu haben. In dem Offenen Brief werden die anhaltenden Völkerrechtsverletzungen des israelischen Staates gegenüber Palästinenser:innen benannt. In einem zweiten Schritt wird die Bundesregierung aufgefordert sich für die sofortige Beendigung der Bombardierungen auf den Gaza-Streifen, sowie der völkerrechtswidrigen Landnahme in den übrigen palästinensischen Gebieten einzusetzen. Schlussendlich fordern wir in dem Offenen Brief, dass die Bundesregierung ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung nachkommt, Israels Straflosigkeit zu beenden und Israel zur Rechenschaft zu ziehen; sowie die Einstellung jeglicher politischen und materiellen Unterstützung für israelische Kriegsverbrechen.

Die Angriffe und Verleumdungskampagnen gegen Organisationen und Einzelpersonen, die sich solidarisch mit dem palästinensischen Befreiungskampf zeigen, sind untrennbar von dem Rassismus, der sie steuert. Insbesondere Schwarze Künstler:innen, Aktivist:innen und/oder Akademiker:innen werden systematisch dafür ins Visier genommen - mit materiellen Konsequenzen. Vier prominente Fälle der letzten drei Jahre (Marc Lamont Hill, Achille Mbembe, Cornel West und Talib Kweli) veranschaulichen die Bandbreite und das Ausmaß der rassistischen Repression gegenüber Schwarzen Menschen für ihr öffentliches Eintreten für palästinensische Rechte.

Der afroamerikanische Professor und Aktivist Marc Lamont Hill verlor im November 2018 seinen Job bei CNN nachdem er eine Rede auf dem ”International Day of Solidarity with the Palestinian People” der Vereinten Nationen gehalten hatte. Als er seine Rede mit “From the river to the sea, Palestine will be free” beendete, wurde dies bewusst nicht als Gleichheitsanspruch für alle dort lebenden Menschen verstanden. Es wurde wahrheitswidrig mit dem Aufruf zur Zerstörung Israels gleichgesetzt und kurz darauf begann eine Kampagne, die zum Ziel hatte ihm auch seine Stelle an der Temple University zu nehmen. Da dies verfassungswidrig ist, war dies von Seiten der Universität letztlich nicht möglich.

Im Sommer 2019 wurde der afroamerikanische Rapper und Aktivist Talib Kweli vom Open Source Festival in Düsseldorf ausgeladen, nachdem er sich weigerte als Kondition für seinen Auftritt die internationale menschen- und völkerrechtsbasierte BDS-Kampagne zu verurteilen. Weitere Konzerte-Betreiber folgten, bis dies zur Absage der Deutschland Tour führte. Mit Verweis auf die Vereinbarkeit der Ziele von BDS und Internationalem Recht, solidarisierten sich über 100 prominente Unterstützer:innen mit dem Künstler, und forderten ein Ende der Kriminalisierung von BDS und solidarischen Aktivist:innen. Diese bezogen sich wiederum auf einen offenen Brief von 240 jüdischen und israelischen Forscher:innen, die die deutsche Bundesregierung dazu aufrufen die Gleichsetzung von BDS und Antisemitismus zu beenden.

Der kamerunische Philosoph und Historiker Achille Mbembe, der die Militärbesatzung Palästinas den “größten moralischen Skandal unserer Zeit” nennt und argumentiert, dass das israelische Apartheid Regime noch tödlicher als das südafrikanische sei, wurde Anfang 2020 ebenfalls Opfer einer Hetzkampagne. Dass Rassismus in den Kampagnen gegen Kritiker:innen der Völkerrechtsverletzungen Israels nicht wegzudenken ist, wird auch im Umgang mit jüdischen Akademiker:innen und Aktivist:innen selbst ersichtlich. Jüd:innen wie die Philosophin Judith Butler, Politikwissenschaftler Norman Finkelstein oder die Aktivist:innen der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost werden regelmäßig von Unterstützern der Verbrechen Israels als “selbsthassende Juden” beleidigt und als Antisemiten verleumdet. Auch in den Attacken gegen Dr. Natasha A. Kelly wurde die ehemalige Vorsitzende der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost, Iris Hefets, angegriffen und sie als Antisemitin verleumdet.

Hier könnten wir nun eine Anzahl weiterer prominenter Fälle erwähnen, so zum Beispiel die Repressionen gegen den von seiner Professur an der amerikanischen Harvard-Universität  zurückgetretenen, antirassistischen und pro-palästinensischen Philosophen Cornel West. Wir wissen auch, dass die Fälle, in denen “unbekannte” Aktivist:innen und Akademiker:innen Unterdrückung und Silencing erfahren und keine öffentliche Diskussion folgt, in der Mehrzahl sind, und drücken uns daher solidarisch gegenüber allen Menschen, die unseren Kampf unterstützen aus. Dass es nun Dr. Natasha A. Kelly trifft, ist zutiefst bedauernswert aber im Kontext der systematischen Repression gegen Schwarze Forscher:innen und Aktivist:innen leider keine Überraschung.

Wir solidarisieren uns vollständig mit Dr. Natasha A. Kelly und werden gerade aufgrund dieser Repression zukünftig noch engere Verbindungen zwischen dem Schwarzen und dem Palästinensischen Befreiungskampf initiieren. Gemeinsam gegen Siedlungskolonialismus, Apartheid und weiße Vorherrschaft  zu kämpfen zeichnet die lange Geschichte der Schwarz-Palästinensischen Solidarität aus, und wir verpflichten uns diese Tradition aufrecht zu erhalten und weiter zu vertiefen. 

Die lange Geschichte des gemeinsamen Kampfes der Schwarzen und Palästinenser:innen ist ausreichend dokumentiert und auch heute ein bedeutendes Bündnis transnationaler Solidarität. 

Bereits 1964 schrieb Malcolm X über die “zionistische Logik” und verstand Israel als einen vom Imperialismus geförderten, kapitalistischen Kolonialstaat. Die Black Panther Party for Self Defense pflegte laut eigenen Angaben täglichen Kontakt zur PLO und bekannte sich offiziell in einem Statement von 1970 zu hundertprozentigen Unterstützern des gerechten Befreiungskampfes der Palästinenser:innen. Huey Newton und Stokely Carmichael (später Kwame Turé) betonten beide unabhängig voneinander die Unzertrennbarkeit des israelischen Staates und des westlichen Imperialismus. Angela Davis, die ebenfalls wie Mbembe, Lamont-Hill und andere mehrfach Ziel von zionistischen Angriffen und Kampagnen wurde, ist eine der prominentesten Unterstützer:innen des palästinensischen Befreiungskampfes und organisiert und publiziert seit Jahrzehnten um dieses Thema. Die historische Verbindung zwischen beiden Kämpfen wird in ihrem Buch “Freedom Is A Constant Struggle: Ferguson, Palestine, and the Foundations of a Movement” in mehreren Aufsätzen verdeutlicht.

Während den ethnischen Säuberungen in Jerusalem, den Angriffen auf die Al-Aqsa Moschee und der israelischen Bombardierung des Gazastreifens im Mai 2021 wurde die breite Unterstützung der progressiven und revolutionären Schwarzen für ein Ende des israelischen Siedlungskolonialismus und des Apartheid Regimes deutlich. Beispielsweise rief die Black Alliance for Peace (BAP) vermehrt für ein sofortiges Ende der Bombardierungen auf und wies zudem darauf hin, dass “revolutionäre Afrikaner” Seite an Seite mit dem palästinensischen Kampf gegen Siedlungskolonialismus stehen müssen. Zudem weist BAP darauf hin, dass Zionismus entgegen der afrikanischen Befreiung steht und auch Afrikaner*innen innerhalb Israels Ausbeutung und Rassismus zum Opfer fallen. 

Dass die Repressionen insbesondere gegen Akademiker:innen vorgenommen werden, hat aber auch zu internationaler Solidarität und Organisation dagegen geführt. Die American Studies Association, sowie die Association for Asian American Studies stimmten 2013 beide mit großer Mehrheit über einen Boykott israelischer akademischer Institutionen ab. Zuletzt haben sowohl das Yale College Council 2021 (Yale College Council adopts statement of condemnation against Israel) als auch die Harvard University Faculty (Harvard University faculty supports Palestinian liberation) Apartheid in Israel verurteilt.

Selbstverständlich haben sich aber auch die Palästinenser*innen immer mit dem Kampf der Schwarzen solidarisch gezeigt. Dr. Angela Davis hat in einem Interview über schwarz-palästinensische Solidarität gesagt: "Palästinensische Aktivist:innen haben den Kampf der Schwarzen gegen den Rassismus lange unterstützt. Als ich im Gefängnis war, war die Solidarität, die aus Palästina kam, eine große Quelle des Mutes für mich. In Ferguson waren die Palästinenser:innen die ersten, die internationale Solidarität zum Ausdruck brachten...Ich hoffe, dass die jungen Aktivist:innen von heute erkennen, wie wichtig die palästinensische Solidarität für die schwarze Sache war, und dass sie erkennen, dass wir eine tiefe Verantwortung haben, auch die palästinensischen Kämpfe zu unterstützen."

Wir fordern Studierendenvertretende und Akademiker:innen angesichts dieser Repression des Rufs nach einer Dekolonisierung Palästinas zu einer öffentlichen Unterstützung der Schwarzen Akademiker:in Dr. Natasha A. Kelly und allen denjenigen, die sich für die Rechte von Palästinenser*innen einsetzen, auf.

Wir nehmen uns deswegen vor, Schwarz-Palästinensische Solidarität nicht nur symbolisch sondern zuvorderst praktisch mit Leben zu füllen, neue Verbindungen zwischen Schwarzen und Palästinensischen Bewegungen in Deutschland zu schaffen und diese unsere Kämpfe als gemeinsamen anti-kolonialen Kampf gegen globale Formen der Unterdrückung zu führen. 

Wir erkennen außerdem die dringende Notwendigkeit, öffentlichkeitswirksam die Kontinuitäten und Logiken des Handelns von AStAs und Studierendenparlamenten, sowie im weiteren Sinne auch von Universitätsleitungen, als rassistische Praxis zur Sicherung von weißer Vorherrschaft zu benennen und die handelnden Personen konsequent zur Verantwortung zu ziehen.

Zuletzt richtet sich unser Blick vor allem auch auf den Schutz der Rechte und Freiheiten von palästinensischen und palästinasolidarischen Studierenden. Wir wissen, dass gerade sie besonders vom anti-palästinensischen Handeln von Leitungen, AStAs und Studierendenparlamenten betroffen sind und sehen uns deswegen in der Pflicht, alsbald weitere Räume und Orte außerhalb deutscher Universitäten zu schaffen, um einen akademischen Austausch zu Palästina und eine Rezeption tatsächlich revolutionären und gegenhegemonialen Wissens unabhängig von den weißen und pro-zionistischen Curricula zu ermöglichen.

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Großer Erfolg für alle Stimmen für Palästina: die deutsche Politik muss die Repression beenden

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Eine Botschaft von Nizar Banat an die Europäische Union