Eine Botschaft von Nizar Banat an die Europäische Union

Vieles spricht dafür, dass der palästinensische Aktivist Nizar Banat letzte Woche vor allem deshalb sterben musste, weil die Behörden der Palästinensischen Autonomiebehörde bei seiner Verhaftung mit äußerster Brutalität vorgingen. Banats Verhaftung letzte Woche gingen bereits zahlreiche Einschüchterungsversuche und Angriffe gegen seine Familie voraus. Banat selbst hat immer wieder betont, dass die Palästinensische Autonomiebehörde sich für seine scharfe Kritik an ihr rächen will. Bei den abgesagten Parlamentswahlen wollte Banat sich als Kandidat aufstellen und für eine Abstrafung der herrschenden Politiker*innen mobilisieren.

Vor allem eine Forderung Nizar Banats muss uns hier im europäischen Exil besonders aufhorchen lassen und zum Handeln bewegen: Immer wieder hatte Banat darauf hingewiesen, dass die Europäische Union durch ihre finanzielle Unterstützung der Palästinensischen Autonomiebehörde nicht die Autonomie des palästinensischen Volkes sondern vielmehr seine Unterdrückung fördert. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) wurde 1994 als Ergebnis des sogenannten Oslo-Friedensprozesses installiert. Tatsächlich garantiert dieser Verwaltungsapparat aber nicht die Freiheit der Palästinenser*innen in den ihr unterstehenden fragmentierten Territorien, sondern vielmehr fungiert die PA als verlängerter Arm der zionistischen Besatzung. Die Hauptaufgabe der PA ist die Unterdrückung der Widerstandsbewegungen, die PA erleichtert so der zionistischen Besatzung gar das Vorantreiben von Landnahme und Vertreibung. Im Rahmen der sogenannten Zwei-Staatenlösung - also dem beinahe erpresserischen Versprechen, einen palästinensischen Staat zu etablieren insofern das palästinensische Volk auf Rückkehrrecht, Großteile des palästinensischen Territoriums und seinen Anspruch auf Jerusalem verzichtet – kommt der PA die Rolle einer Interimsregierung zu. Gerade weil die Europäische Union den kolonialen Charakter des zionistischen Unrechtsstaates nicht erkennt und beharrlich an eben dieser Zwei-Staatenlösung festhält anstatt eine Dekolonisierung Palästinas anzustreben, unterstützt sie die PA finanziell und ideell.

Noch vor wenigen Wochen wandte sich Nizar Banat in einem Brief direkt an die Europäische Union (siehe Bild). Wir haben dieses Schreiben an die Europäische Union in die deutsche Sprache übertragen mit dem Ziel, dass die konkreten Forderungen Banats uns inspirieren auch in unserem Widerstand hier vor Ort in Deutschland Platz und Raum finden:

Sehr geehrte Repräsentanten der Europäischen Union in den Palästinensischen Gebieten,

Betreff: Der sofortige Stopp der finanziellen Unterstützung der Palästinensischen Autonomiebehörde.

Wir grüßen Sie herzlich!

Die bekanntermaßen am 30.4.2021 getroffene Entscheidung von Herrn Mahmoud Abbas die nächsten Regierungswahlen abzusagen, ist keine legitime, sondern eine ungesetzliche Entscheidung. Es handelt sich hierbei um einen Missbrauch der Autorität und ein Verbrechen gegen das Recht des palästinensischen Volks und seines Freiheitskampfs.

Die diesbezügliche schlechte Ausrede der palästinensischen Autonomiebehörde ist die fehlende Umsetzung des Protokolls von 1995 durch den besetzenden Staat, welches in Washington (Oslo 2) von der palästinensischen Autonomieregierung mitunterschrieben wurde.

Dieses Protokoll enthielt die Stimmen von nur 5700 Jerusalemer*innen aus einer Gruppe von über 150.000 Wähler*innen aus israelischen Wahlzentren, welches den Anwohner*innen Jerusalems gegenüber respektlos ist.

Zudem verkörpert das Protokoll das Verständnis einer israelischen Autorität über die Hauptstadt des besetzten Staates Palästina. Wie Mahmoud Abbas fälschlicherweise behauptet, verpflichte dieses Abkommen die palästinensische Autonomiebehörde dazu, einen Antrag zur Durchführung der Wahlen an Israel zu stellen.

Die Wahlen sind ein konstitutionelles Recht für alle Bürger*innen, um ihre Repräsentant*innen in den palästinensischen Gebieten zu wählen.  Darüber hinaus ist es eine Notwendigkeit um wieder Leben in die aktuell nicht-funktionierenden öffentlichen Institutionen zurückzubringen sowie einen Ausweg aus der internen politischen Teilung in Palästina zu finden.

Die EU unterstützt eine nicht-legitime und korrupte Autorität finanziell, welche die Hoffnungen und Bestrebungen des palästinensischen Volks nicht vertritt. So fördert die EU Korruption und die Unterdrückung der Palästinenser*innen durch die Autonomiebehörde. Denn seit 2007 wird das Rechtsystem durch die von Mahmoud Abbas geleitete regierende Partei gelenkt, während das parlamentarische System gleichzeitig gestört und aufgehoben wurde.

In Anbetracht der zuvor erwähnten Punkte sowie unserer Rolle als Kandidaten für das Parlament haben wir entschieden, die europäischen Gerichtshöfe zu adressieren, insbesondere den Europarat in Straßbourg, mit dem Ziel zwei Anliegen anzubringen:

1) die finanzielle Unterstützung der palästinensischen Autonomiebehörde sofort zu beenden

2) eine Untersuchungsakte für die verschwendeten Steuergelder der europäischen Völker zu öffnen (belegt durch die anliegenden Unterlagen), damit die europäischen Bürger*innen endlich erfahren, wo ihre Steuergelder hingeflossen sind und um diese Farce zu beenden 

Wir werden um die Unterstützung von Menschenrechtsorganisation aller europäischen Länder und Organisationen, die sich für das Recht des palästinensischen Volkes einsetzen, und der Medien bitten.

Falls die palästinensische Autonomiebehörde im kommenden Monat keinen bestimmten Zeitrahmen für Neuwahlen definiert, welche vor Ende des Jahres durchgeführt werden müssen, werden wir weiterhin nach unseren Forderungen streben.

 

Kandidaten des palästinensischen Volkes
Kandidatenliste Freiheit und Würde
Nizar Banat, Dr. Amjad Shihab - 30.04.2021

Zurück
Zurück

Schwarz-Palästinensische Solidarität angesichts erneuter Repressionen - Statement von Palästina Spricht

Weiter
Weiter

Statement von Palästina Spricht Freiburg zum abgesagten Panel “Wie kann in Deutschland ein Sprechen zur Situation in Israel und Palästina stattfinden und ein Raum für Dialog ermöglicht werden?”