NEIN ZUR GOLDA-MEIR-ALLEE


STELLUNGNAHME ZUR DEBATTE UM DIE UMBENENNUNG DER PACELLIALLEE IN BERLIN

WhatsApp Image 2020-09-23 at 16.19.51.jpeg

Mit Vehemenz lehnen wir die jüngsten Aufrufe zur Umbenennung der Pacelliallee in Berlin-Dahlem in Golda-Meir-Allee ab.

Als Anstoß der Umbenennungskampagne sehen wir den am 21. August 2020 veröffentlichten Aufruf, der nunmehr einige Unterstützung gewonnen hat. Auch der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein, begrüßte die Umbennungskampagne, wenn auch ohne Äußerung zu dem vorgeschlagenen neuen Namen.

So äußerte Klein gegenüber der Zeitung WELT: „Die Debatte rückt die umstrittene Rolle in den Fokus, die Papst Pius XII. während des Zweiten Weltkriegs einnahm. Er schwieg zum Holocaust und zum Mord an den Sinti und Roma, von denen viele dem katholischen Glauben angehörten, oder protestierte zumindest nicht vernehmlich“. Im Aufruf der Initiatoren heißt es: “Nachdem Eugenio Pacelli über 71 Jahre lang durch eine nach ihm benannte Straße in Berlin-Dahlem geehrt wurde, ist es an der Zeit, einen Gegenentwurf zu realisieren. Statt eines antisemitischen und frauenverachtenden Mannes regen wir die Benennung nach einer jüdischen Frau an.” 

In diesen wesentlichen Punkten unterstützen wir die Initiative zur Umbenennung der Straße. Als Koalition für die Rechte von Palästinenser*innen und gegen jegliche Form von Unterdrückung, Rassismus und Diskriminierung teilen auch wir die Ablehnung an der öffentlichen Ehrung Eugenio Pacellis (dem späteren Papst Pius XII.) in Berlin. Zahlreiche frauenverachtende und rassistische  Äußerungen Pacellis und insbesondere das Arrangement mit den Verbrechen des Faschismus in Italien und später mit dem deutschen NS-Regime sprechen deutlich für eine Umbenennung. Ähnlich argumentiert auch Schmidt-Hirschfelder in der Jüdischen Allgemeinen und fragt:  “Warum also nicht Golda Meir als Namensgeberin?”

Als Palästinenser*innen in Deutschland verbinden wir, wie Palästinenser*innen weltweit, mit Golda Meir zuallererst die unzähligen Verbrechen gegen uns und den rassistischen Chauvinismus, der diese Verbrechen hervorbringt. Es erscheint unmöglich diese Vergehen chronologisch  wiederzugeben. Jedoch möchten wir exemplarisch auf einige Aussagen und Entscheidungen Meirs auf ihren Rassismus und ihre Vernichtungspolitik aufmerksam machen. Folgende rassistische Aussagen wollen wir hier insbesondere in Erinnerung rufen:

Als Premierministerin Israels leugnete sie die Geschichte, brutale Vertreibung und gar Existenz der Palästinenser*innen als Volk. Die zutiefst rassistischen Worte: "There were no such thing as Palestinians" (Sunday Times und Washington Post, Juni 1969) „Es gab keine Palästinenser*innen“ stellen die Verleugnung der Existenz eines ganzen Volkes dar. Dies bedeutet auch eine totale Verneinung der Rechte der Palästinenser*innen. Meir knüpfte damit an einen rassistischen und wirkmächtigen Diskurs an, welcher die Vertreibung und Entrechtung der Palästinenser*innen durch den Staat Israel bis heute zu rechtfertigen sucht und vorantreibt. Golda Meir mit einem Straßennamen in Berlin zu ehren, einer Stadt in der tausende Palästinenser*innen leben, bedeutet die Leugnung der Existenz eines ganzen Volkes und seiner Rechte zu billigen.

Entsprechend hat Golda Meir die Ermordung unzähliger Zivilisten unter ihrer Militärverwaltung  verharmlost und gerechtfertigt. Der Rassismus Meirs wird in ihrer Autobiographie “A Land of Our Own” (1973) noch deutlicher. Darin entmenschlicht und entwürdigt Golda Meir Araber*innen auf eine rassistische und erniedrigende Art und Weise: “When peace comes we will perhaps in time be able to forgive the Arabs for killing our sons, but it will be harder for us to forgive them for having forced us to kill their sons. Peace will come when the Arabs will love their children more than they hate us.” Nicht nur beschwört Meir eine grundlegende und unüberwindbare Feindschaft zu Palästinenser*innen, welche sie mit unserem angeblichen geradezu barbarischen Hass begründet, nicht einmal das zutiefst menschliche Gefühl der Liebe zu unseren eigenen Kindern und Familien gesteht sie den Besetzten zu. Diese Dehumanisierung ist ein wichtiger Baustein der Vernichtungspolitik gegenüber Palästinenser*innen. Die Entmenschlichung und Entwürdigung der politisch „Anderen“ ist zu keiner Zeit und an keinem Ort zu billigen. Diese darf keine öffentliche Ehrung erfahren.

Ganz im Sinne dieses offenen, verbalen Rassismus stand ihre militaristische und diskriminierende Politik. Als Premierministerin ab 1969 hat Meir die militärische Besatzung der Palästinenser*innen abgesegnet, sowie die Grundsteine des völkerrechtswidrigen Siedlungsbaus in den bis heute völkerrechtswidrig annektierten und besetzten palästinensischen Gebieten, sowie den syrischen Golanhöhen zementiert. Meir hat die rechtswidrige Siedlungsbewegung und das israelische Militärregime über Palästinenser*innen als Ministerpräsidentin wesentlich mitzuverantworten. Seit damals werden Palästinenser*innen dadurch vertrieben, entrechtet, eingesperrt, gefoltert und ermordet - um sich im Anschluss daran auf dem vermeintlich “leeren” Land anzusiedeln. Weitergehend unaufgearbeitet sind auch ihre Rolle und Verantwortung als Kabinettsmitglied und amtierende Außenministerin (1956-1965) an den Massakern an Palästinenser*innen in Kafr Qassim, Khan Younis und Rafah. Das politische Erbe Meirs wirkt bis in die Gegenwart ungehemmt destruktiv für einen gerechten Frieden zwischen Palästinenser*innen und Israelis. 

Auch im Hinblick auf Äußerungen Meirs über das politische Erbe Pacellis erscheint der Vorschlag zur Umbenennung in Golda-Meir-Allee widersinnig. Meir schrieb in ihrer Funktion als Außenministerin Israels in einem Kondolenzschreiben zum Tode Pacellis 1958: “During the Nazi terror, when fearful martyrdom came to our people in the decade of Nazi terror, the voice of the Pope was raised for the victims. We mourn a great servant of peace.” Wir halten Meir aufgrund dieser Aussage als Namensgeberin für ungeeignet. Die Rolle des Papstes Pius XII. während des Holocaust scheint Meir gänzlich anders zu bewerten als die Initiatoren der Kampagne. 

Erfreulicherweise teilen weitere die Kritik an der Initiative. So schrieb Abraham Ingber in der Berliner Zeitung: “Die Initiative zur Benennung einer Berliner Straße nach Golda Meir deckt die Problematik der deutsch-israelischen Beziehung auf. Die deutsche Toleranz gegenüber Juden muss nicht immer nach israelischer Bestätigung suchen. Statt einer umstrittenen israelischen Figur sollte die deutsche Aufklärungsarbeit lieber eine nationale Persönlichkeit ehren, die für die Entstehung universellen, demokratischen und facettenreichen jüdischen Lebens in Deutschland sorgte und der Rolle unseres Landes in der Weltpolitik entspricht.” 


Wir schließen uns dieser Aussage an. Die Umbenennung der Pacelliallee nach einer jüdischen Frau, welche sich für Anerkennung, Gleichberechtigung und Menschenrechte und gegen Diskriminierung und staatlichen Terror eingesetzt hat, würden wir ausdrücklich begrüßen. Wir schlagen daher Dr. Marie Munk als Namensgeberin vor. Munk (1885 Berlin – 1978 Cambridge/MA) kämpfte für die Zulassung von Frauen in allen juristischen Berufen. Sie begann 1908/1909 als erste preußische Studentin mit dem Jurastudium in Berlin und Bonn. Später wurde sie eine der ersten deutschen Rechtsanwältinnen und Richterinnen. 1933 versetzte man sie wegen "nicht arischer Abstammung" in den Ruhestand. Sie starb 1978 im Exil in Cambridge/ MA.


Palästina Spricht - Koalition für die Rechte von Palästinenser*innen und gegen jegliche Form
von Unterdrückung, Rassismus und Diskriminierung

Zurück
Zurück

Stellungnahme zu den Anfeindungen gegen palästinensische und palästinasolidarische Antirassist*innen

Weiter
Weiter

Broken – A Palestinian Journey through International Law and Justice