Basics Genozid

Wir wollen die Kampagne PALÄSTINA KLAGT AN auch als Anlass nutzen, um genozidale Sprache und Argumentation – primär in Deutschland, aber auch global – in den Fokus zu rücken. Bevor wir uns aber einzelnen Argumenten widmen können, benötigen wir zunächst eine gemeinsame Basis für den Begriff “Genozid” und die Rolle von Sprache darin.

  • Der Begriff Genozid setzt sich aus dem griechischen Wort für Abstammung (génos) und morden bzw. metzeln (caedere) zusammen. Als Genozid bzw. Völkermord werden nach der UN-Völkermordkonvention (ref. 1) Handlungen bezeichnet, die sich gegen eine bestimmte “nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe” richten und in der Absicht begangen werden, sie im Ganzen oder in Teilen zu vernichten. Die Konvention verbietet nicht nur den Völkermord selbst, sondern auch Versuch und Verschwörung zum Völkermord sowie die Beihilfe und öffentliche Aufstachelung dazu. Schließlich kann ein Völkermord auch durch nichts gerechtfertigt werden. Das heißt, es handelt sich auch dann um Völkermord, wenn die Handlungen im Kontext eines Krieges ausgeführt werden oder sich gegen Menschen richten, die als Bedrohung oder Terroristen angesehen werden. Ganz einfach gesagt: Es gibt keine akzeptable Rechtfertigung für Völkermord.

    Die UN-Konvention benennt fünf genozidale Handlungen:

    • Tötung von Mitgliedern der Gruppe

    • Zufügung schweren körperlichen oder psychischen Schadens

    • Bewusste Schaffung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung herbeizuführen

    • Verhängen von Maßnahmen, die Geburten in der Gruppe verhindern sollen

    • Gewaltsame Überführung von Kindern aus der Gruppe in eine andere

    Jede dieser Handlungen und die Absicht dazu stellt für sich allein schon das Verbrechen des Genozids dar.

  • Genozid-Forschung stellt ein umfangreiches Feld dar, das mit vielen anderen Fachrichtungen verbunden ist. Ein bekanntes Modell spricht von 10 Phasen des Genozids (ref. 2) :

    1. Klassifizierung – Festlegen einer Gruppe auf Basis von Religion, Ethnie, etc.

    2. Symbolisierung – Zuordnung zu benachteiligter Gruppe wird sichtbar gemacht

    3. Diskriminierung – strukturelle Benachteiligung

    4. Entmenschlichung – Vergleich mit Tieren, Ungeziefer oder Krankheiten

    5. Organisation- Ausbildung und Bewaffnung von Gruppen, die den Genozid durchführen sollen

    6. Polarisierung – aktive Abtrennung und Isolation der Gruppe

    7. Vorbereitung – logistische Planung des Genozids

    8. Verfolgung – gezielte und fortschreitende Verfolgung der Gruppe

    9. Vernichtung – Durchsetzung der genozidalen Handlungen

    10. Verleugnung – Vertuschen von Beweisen, Leugnen des Genozids komplett oder in Teilen

    Diese Phasen laufen nicht zwingend nacheinander ab, sondern finden eher gleichzeitig statt und beeinflussen sich gegenseitig.

    Let’s Talk Palestine hat die Situation in Palästina & v.a. in Gaza bereits anhand des 10-Phasen-Modells analysiert.

  • Aus juristischer Perspektive hat der Internationale Gerichtshof (IGH) die Lage in Gaza am 26. Januar so beurteilt, dass ein Genozids plausibel erscheint (ref. 3). Ein abschließendes Urteil hierzu wird vom IGH voraussichtlich erst in 2-3 Jahren zu erwarten sein.
    In offenen Briefen warnten bereits im Oktober hunderte zivilgesellschaftliche Organisationen, Jurist:innen und führende Genozid-Forscher:innen vor der Gefahr eines Genozids in Gaza (ref. 4) und fordern eine Untersuchung israelischer Individuen wegen Verdachts auf Genozid vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) (ref. 5). Das Vorgehen der israelischen Armee in Gaza wurde von einzelnen sogar als ein “Musterbeispiel” von Genozid bezeichnet (ref. 6,7).

  • Ob es nun um das juristische oder das soziologische Verständnis von Genozid geht – Sprache ist in beiden Fällen ein essentieller Fokus:

    • Um die Frage zu klären, ob aus juristischer Perspektive eine Absicht zum Genozid vorliegt, ist es unerlässlich, die Rhetorik von Führungspersonen und Entscheidungsträger:innen aus Politik und Militär zu betrachten. Südafrika hat die Fülle an Aussagen israelischer Verantwortlicher vor dem IGH ausführlich dargelegt und das Gericht hat einige für genozidal erachtet.

    • Betrachten wir die 10 Phasen des Genozids, stellen wir fest, dass in jeder einzelnen von ihnen genozidale Sprache und Argumentation vorhanden – und notwendig – ist. Hier spielen neben Politik und Militär auch Medienvertreter:innen, Intellektuelle und andere einflussreiche Personen eine zentrale Rolle. Um wirksam zu sein, muss genozidale Sprache in möglichst vielen Bereichen der Gesellschaft präsent und normalisiert sein.

    In der nächsten Zeit werden wir uns hier verschiedenen Beispielen von genozidaler Sprache und Argumenten widmen, die wir aktuell im Kontext des Genozids in Gaza beobachten.

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