Brief an Amnesty International Deutschland
AN: info@amnesty.de, presse@amnesty.de
BCC: no-silence@palaestinaspricht.de
Sehr geehrtes Team von Amnesty International –Deutschland,
wir schreiben Ihnen, während wir noch mit den alltäglichen schlimmen Nachrichten aus Palästina zu kämpfen haben. Die tägliche Vertreibung von Menschen, die tägliche Häuserzerstörung, die täglich erschossenen Zivilist*innen auf der Straße und die Gesichter ihrer trauernden Familien.
Wir sind die Eltern, die Schwestern, die Brüder, die Angehörigen und die Freunde der Menschen in Palästina. Wir sind deutsche Staatsbürger*innen, die täglich vom deutschen Staat in aller Öffentlichkeit im Stich gelassen werden und denen medial immer wieder die Grundrechte abgesprochen werden. Während Israel Bomben auf die Köpfe unserer Liebsten in Gaza im Mai 2021 fallen ließ, haben ALLE deutschen Parteien im Bundestag, von den Linken bis zur AfD, gemeinsam eine Solidaritätsbekundung mit Israel, einem Apartheidstaat, am Brandenburger Tor gehalten und Waffenlieferungen nach Israel genehmigt. Wir waren Augenzeug*innen als ein Bundestagsabgeordneter vom Deutschen Bundestag aus, der israelischen Luftwaffe „Fette Beute” gewünscht hat. Wir wurden tagtäglich in der deutschen Presse verleumdet, beschimpft und an den Pranger gestellt. Wir wurden zu einer Projektionsfläche des deutschen Rassismus und mussten mit unserem Blut für die deutsche Geschichte zahlen.
Wir leben in einer Welt, in der Schuh- und Eishersteller mehr politisches Rückgrat und Bewusstsein haben und unter Beweis stellen, als die meisten deutschen Politiker*Innen und Presseplattformen.
Dieses bewusste zum Schweigen bringen aller Stimmen, die für die Menschenrechte der Palästinenser*Innen kämpfen, ist keine Neuigkeit und zeigt das Ausmaß der Doppelmoral, die den Umgang mit den Palästinenser*Innen und ihrem gerechten Kampf für Freiheit bestimmt. Doch dass Menschenrechtsorganisationen in Deutschland diese feige passive Haltung angesichts der erdrückenden Beweislast einnehmen, ist der neue Tiefpunkt in diesem Land und kommt einem Schlag ins Gesicht gleich.
Amnesty International hat einen Bericht über die Lage in Palästina veröffentlicht und hat das bestätigt, was wir Palästinenser*innen seit 73 Jahren wissen. Israel ist ein Apartheidstaat. Dieses Ergebnis, zu dem Amnesty International in ihrem Bericht kam, wurde bereits von anderen Organisationen, u.a. der amerikanischen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch und der größten israelischen Menschenrechtsorganisation B'tselem, in den letzten Jahren eindeutig benannt. Es ist zutiefst enttäuschend, dass Amnesty International-Deutschland verkündet hat, sich zu diesem Bericht nicht zu äußern bzw. keine Kampagnen durchzuführen, da angeblich dies den Antisemitismus in Deutschland verstärken würde. In diesem Land, in dem über 95% der antisemitischen Vorfälle von rechtsgesinnten weißen Deutschen verursacht werden, ist diese Haltung nicht nur grundfalsch, sondern stellt auch eine extreme Verharmlosung des echten Antisemitismus dar und ist beim Kampf gegen alle Formen des Rassismus ein Hindernis. Aber auch gegenüber uns, den Palästinenser*innen, deren Menschenrechte tagtäglich verletzt werden, ist diese Haltung nicht nur extrem ungerecht, sondern auch scheinheilig und bewusst feige. Wir, die Eltern, Schwestern, Brüder, Angehörigen und Freund*innen der Menschen in Palästina, appellieren an Ihr Gewissen und Ihre Verpflichtung als Menschenrechtsorganisation, diese passive Haltung angesichts der extremen Ungerechtigkeit, der unsere Liebsten systematisch und täglich ausgesetzt werden, zu beenden.
Wir appellieren an Ihre Menschlichkeit - die Menschlichkeit, die uns alle vereint, das wichtigste Motiv für Ihr Handeln und Engagement - dieser systematischen Unterdrückung unserer Familien und Liebsten aktiv entgegenzutreten.
Jeder Tag, der vergeht, ist ein Tag, an dem diese Ungerechtigkeit andauert. Wir wissen allzu gut, dass Sie alleine, diese Ungerechtigkeit nicht beenden können, doch mit dem aktiven Einsatz tragen Sie dazu bei, das Leid und die systematische Unterdrückung zu verkürzen.
Bitte seien Sie auf der richtigen Seite der Geschichte.
Mit freundlichen Grüßen
Familien, Freundinnen und Freunde der Menschen in Palästina